Landespressekonferenz zum Schuljahresanfang an den beruflichen Schulen

Veröffentlicht am 7. September 2023

„Politik und Gesellschaft sind gefordert, den Wert der beruflichen Bildung viel mehr als bisher in den Vordergrund zu stellen.“

Pressemitteilung des BLV zum Schuljahresanfang an den beruflichen Schulen

  • Gewinnung von Lehrkräften schwierig
  • Steigende Schülerzahlen und hoher Verwaltungsaufwand
  • BLV-Vorschläge zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels für ein attraktives Berufsbild „Lehrer/Lehrerin“

Stuttgart, den 7. September 2023 „Die Gewinnung von Lehrkräften wird immer schwieriger. Junge Leute entscheiden sich häufiger gegen das Lehramt an beruflichen Schulen. Angesichts eines deutlichen Rückgangs bei den qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern mache ich mir große Sorgen, wie lange die Unterrichtsversorgung noch gesichert ist.“, so die stellvertretende BLV-Vorsitzende Michaela Keinath heute in Stuttgart. „Zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels braucht es dringend ein modernes Jobprofil Lehrer/Lehrerin mit Rahmenbedingungen, die innovatives Gestalten in einer konstruktiven Arbeitsumgebung ermöglichen. Ich fordere mehr finanzielle Anreize und Entwicklungsmöglichkeiten. Lehrkräfte und Schulleitungen brauchen mehr Entlastung“, stellt der stellvertretende Vorsitzende Michael Niedoba enttäuscht fest.

Direktbewerbungen gehen um 1/3 zurück

Bei der aktuellen Lehrkräfteeinstellung ging die Zahl der Bewerbungen ausgebildeter Lehrkräfte noch einmal leicht zurück auf 390 Personen, die Zahl der Direktbewerberinnen und Direktbewerber sank um fast 30 % (760 Personen). Auch die Zahl der Bewerbungen aus anderen Bundesländern sank im 10-Jahresvergleich auf ein historisches Tief (2023: 25, 2013: 87). Damit gelingt es der Schulverwaltung nur mit erheblichen Anstrengungen gerade noch so den Ersatzbedarf von 1.050 wissenschaftlichen Lehrkräften und 100 technischen Lehrkräften zu besetzen. Völlig ungelöst bleibt dabei, dass Lehrkräfte beruflicher Schulen einen Überstundenberg von 2.000 Deputaten seit Jahren vor sich herschieben.

Steigende Schülerzahlen und hoher Verwaltungsaufwand

Gleichzeitig müssen wir weiterhin von steigenden Schülerzahlen bei der Beschulung Geflüchteter ausgehen. Die BLV-Umfrage im Juni dieses Jahres zeigte, dass mehr als 80 % der Schülerinnen und Schüler des letzten Schuljahres auch im neuen Schuljahr eine berufliche Schule besuchen werden. Dazu kommen dann im Laufe des neuen Schuljahres weitere Schülerinnen und Schüler, die neu im VABO starten. „Ich freue mich, dass Frau Kultusministerin Schopper einige BLV-Vorschläge zur Verbesserung der Situation an den Schulen aufgegriffen hat und erste Maßnahmen bereits umgesetzt werden. Ich gehe davon aus, dass auf eine weitere Schülerzunahme auch ein weiteres Unterstützungspaket folgt, um vor allem in den Ballungszentren Stuttgart, Mannheim oder Freiburg und den ländlichen Engpassregionen die Schulleitungen und Lehrkräfte nachhaltig vor erheblichen Überlastungen zu schützen“, so Michael Niedoba.

Mehr Ausbildung in sozialen Berufen

Deutlich ausgebaut wird die Ausbildung im Bereich Kindertagesstätten und -horte. Der neue Schulversuch „Direkteinstieg Kita“ soll durch (Zweit-) Ausbildung beruflich erfahrener Personen die sozialpädagogische Assistenz in der frühkindlichen Bildung stärken. Mehr Schülerinnen und Schüler sind zwar erfreulich, erfordern aber auch mehr Lehrkräfte. Gerade in den sozialen Ausbildungsberufen ist die Suche nach geeigneten Lehrkräften ein Dauerthema, da sich hier der Fachkräftemangel ebenfalls niederschlägt. Nicht zuletzt ist der Verwaltungsaufwand in diesem Bereich immens, da aufgrund fehlender Kammern die Ausbildung voll verantwortlich bei den Schulen liegt und Schulleitungsteams und Lehrkräfte in besonderem Maß fordert.

BLV fordert mehr Berufsorientierung an allen Schulen

Leicht steigende Schülerzahlen gibt es im Bereich der dualen Ausbildung. Allerdings sind die Ausbildungszahlen im Handwerk und bei Industrie und Handel vom Vor-Corona-Niveau noch weit entfernt. Der BLV unterstützt weiterhin die Forderung von IHK und Handwerkskammer für mehr berufliche Orientierung in allen Schulen. „Angesichts eines riesigen Fachkräftemangels können wir es uns schlicht und ergreifend nicht mehr leisten, den Schwerpunkt allein auf die Studienorientierung zu legen. Politik und Gesellschaft sind gefordert, den Wert der beruflichen Bildung viel mehr als bisher in den Vordergrund zu stellen”, fordert Michael Niedoba. Dies bestätigen auch die Ergebnisse des INSM-Bildungsmonitors. Nur bei der dualen Ausbildung kann Baden-Württemberg noch einen Spitzenplatz belegen. Die Erfolgsquote bei den Abschlussprüfungen der dualen Ausbildung lag im Jahr 2021 im Bundesdurchschnitt bei 88,6 Prozent. Baden-Württemberg erreichte hier mit einer Quote von 92,8 Prozent den besten Wert aller Bundesländer.

Gutes Lernen braucht keine Schulstrukturdebatte – es braucht mehr Geld für Personalentwicklung und für die Zusammenarbeit der Lehrkräfte

Angesichts dieser Leistungen ist es unverständlich, dass Baden-Württemberg nicht noch mehr auf seine beruflichen Schulen setzt und stattdessen durch unnötige Schulstrukturdebatten im Bildungsbereich nicht zur Ruhe kommt. So dürfen bei der Frage nach G8 oder G9 die Bedarfe anderer Schularten nicht unberücksichtigt bleiben. Zudem gibt es mit der Kooperation zwischen beruflichen Gymnasien und Gemeinschaftsschulen/Realschulen hervorragende G9-Angebote in Baden-Württemberg. Selbst der international anerkannte Bildungsforscher John Hattie stellt in seiner neuen Metastudie über gutes Lernen fest, dass die Schulstruktur kaum Einfluss auf gutes Lernen hat. Stattdessen sind die positiven Wirkungen um ein Vielfaches größer, wenn mehr Geld für Personalentwicklung, Lehrmittel und Zeit für die Zusammenarbeit der Lehrkräfte investiert wird.

Jobprofil Lehrer/Lehrerin weiterentwickeln – Verwaltungsaufgaben reduzieren

„Wir müssen endlich anfangen, das Jobprofil Lehrer/Lehrerin weiterzuentwickeln. Dies bietet die Chance, nicht nur die Unterrichtsqualität zu sichern, sondern steigert auch die Attraktivität des Berufes.“, fordert Michaela Keinath. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich wieder mehr auf Ihren Unterricht, auf die Zusammenarbeit im Kollegium und den Einsatz neuer Lehr- und Lernmethoden mittels digitaler KI-basierter Tools konzentrieren können. Sie wünschen sich mehr Zeit für Austausch und Kooperation mit Ausbildungsbetrieben und weiteren externen Partnern. Dafür braucht es zusätzliches Personal, das die Lehrkräfte und Schulleitungen von Verwaltungsaufgaben entlastet. Der BLV hat im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit der Universität Mannheim die bisher größte Studie zur Arbeitszeit der Lehrkräfte an beruflichen Schulen durchgeführt. Diese setzte sich aus einer Fragebogenerhebung und einer Tagebuchstudie zusammen. 42.619 Tätigkeiten von 477 Personen wurden in der Tagebuchstudie erfasst, 1.311 Wochenrückblicke erstellt und die Daten von 1.931 ausgefüllten Fragebögen flossen in die Auswertung ein. „Mit den Daten aus der Arbeitszeitstudie haben wir einen ungeheuren Schatz, aus dem sich viele Erkenntnisse über Arbeitszeit, Belastungen und Resilienz der Lehrkräfte gewinnen lassen. Der BLV plant die Veröffentlichung der Ergebnisse im Oktober“, kündigt die stellvertretende BLV-Vorsitzende Michaela Keinath an.

Lehrkräfteausbildung stärken – Ausbildungsseminare beteiligen

Angesichts des aktuellen Lehrkräftemangels und der besonderen Herausforderungen im Lehrerberuf, gilt es, der Lehrkräfteausbildung besonderen Stellenwert zuzumessen. Der BLV begrüßt den Ausbau der pädagogischen Hochschule Freiburg und die Einrichtung einer dualen Lehrkräfteausbildung. Dazu gehört ein gemeinsamer Prozess zur Weiterentwicklung der Ausbildung zwischen Hochschulen, Seminaren, Wissenschafts- und Kultusministerium. Es kann nicht sein, dass die Ausbildungsseminare immer mehr Aufgaben übernehmen z. B. in der Fortbildung von Lehrkräften, jedoch ohne ausreichende Zeitressourcen. „Leider besteht nach wie vor das Problem, dass offene Stellen bei den Seminaren bis zu ein Jahr lang nicht besetzt werden, weil die Abläufe am ZSL so umständlich und langwierig sind.“, stellt Michael Niedoba abschließend fest.

 

BLV-Forderungen zur Behebung des Lehrkräftemangels:

Lehrkräfteausbildung stärken

  • Einstellung der Referendare zum 01. August
  • Einstellungsgarantie für Studierende in Mangelfächern
  • Stipendien und Darlehen zur Förderung von einschlägigen Masterstudiengängen mit dem Berufsziel Lehrer oder Lehrerin an einer Beruflichen Schule
  • Rücknahme der Erhöhung der Pflichtstundenzahl im Vorbereitungsdienst
  • Direkteinstieg ausweiten, Anrechnungsmöglichkeiten ausweiten, Weiterqualifikation entwickeln
  • Erhalt und Ausbau der Studienorte, bessere Abstimmung zwischen Kultus- und Wissenschaftsministerium
  • Informationsbroschüren über dringend benötigte Lehrämter für die Zielgruppe der Berufsberaterinnen und Berufsberater zur fundierten Beratung angehender Abiturientinnen und Abiturienten
  • Direkt-Werbung an den Universitäten bzw. an und in allen Hochschulen bei den Studentinnen und Studenten durch Personal des Kultusministeriums

 

Attraktivität des Lehrerberufs erhöhen                                                                                   

Berufsprofil „Lehrer/Lehrerin“ modern und zukunftsorientiert gestalten:

  • bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen für die pädagogische Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer:
    • moderne Arbeitsplätze und Förderung der Möglichkeit zur Teamarbeit
    • Digitalisierungstag, mobile Arbeitsmöglichkeiten für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler
    • Zurverfügungstellung moderner und stets aktueller Hard- und Software
    • zentrale Bereitstellung KI-gestützter Korrekturverfahren
    • Entlastung von Verwaltungstätigkeiten
    • Aufbau multiprofessioneller Teams
  • Lebensarbeitszeitkonto nach hessischem Vorbild einführen
  • Bessere Kinderbetreuung und Pflegeangebote z.B. durch eigene Kindertagesstätten in Schulzentren
  • Flexible Arbeitsmöglichkeiten bzw. Modelle im Alter für pensionsnahe Jahrgänge durch Verbesserung der Altersermäßigung und attraktive Altersteilzeitmodelle für ältere Lehrkräfte
  • Außertarifliche und an der Erfahrung der Bewerber orientierte Zulagen für Direkteinsteiger zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt
  • Personelle Stärkung der Abteilung für Lehrereinstellung im KM z.B. durch eine eigene Stabsstelle oder eigenes Referat für „Nachwuchsgewinnung, Lehrerbildung und Lehrerausbildung“ in der zuständigen Abteilung im Kultusministerium und im Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung

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Hier finden Sie die Pressemitteilung als Pdf zum Download.

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Die beruflichen Schulen in Baden-Württemberg unterrichten im laufenden Schuljahr landesweit rund 322.000 Schülerinnen und Schüler. Der Verband der Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen Schulen in Baden-Württemberg e. V. (Berufsschullehrerverband) vertritt in Baden-Württemberg mehr als 10.000 Lehrerinnen und Lehrer und hat im Bereich der beruflichen Schulen in allen Personalvertretungen auf Regierungspräsidiumsebene sowie im Kultusministerium die Mehrheit.

verantwortlich i. S. d. P. Thomas Speck, Oberdorfstr. 7a, 76698 Ubstadt-Weiher // Mobil: 0157 33986784 // Mail: info@blv-bw.de

Ein Foto des Vorstandsvorsitzenden Thomas Speck erhalten Sie über folgenden Link: https://blv-bw.de/wp-content/uploads/2020/09/K1024_Speck_Thomas.jpg

Veröffentlicht am 7. September 2023

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